Auf meiner vorletzten Pfarrei zu Krumbach, bei Messkirch, in einem Seitenthale des oberen Donauthales, wo ehemals die Herren von Waldsperg auf einer Ritterburg hausten, hatte ich als dürftige Pfarrkinder unter Anderen einen sehr bedauernswerten Wittwer zum Nachbar. Derselbe verarmte derart, dass er sein Hüttchen verkaufen musste und in seinem ehemaligen Häuschen nur noch ein elendes Kämmerchen zur Wohnung erhielt. ‚Schwarz‘ war sein Name, und immer schwärzer gestaltete sich sein Schicksal. Zwar hatte er noch zwei erwachsene, arbeitsfähige Kinder. Allein die Tochter ging den Weg der Sünde, und starb an den Folgen der Sünde.
Eines Morgen verbrannte ihm zu allem Elend noch sein Zimmerchen mit allen den wenigen Habseligkeiten. Wir Nachbarn eilten herzu und löschten aus Leibeskräften; desgleichen meine einzige Schwester. Sie schlüpfte mit bloßen Füßen in ihre Schuhe, der Morgen war kalt. Im Bachwasser stehend erkältete sie sich derart, dass sie bald darauf schwer erkrankte, und in ihrem 33. Lebensjahre zu meinem unsäglichen Schmerze starb; denn wir hatten uns überaus lieb gehabt.
Als das Zimmerchen des Nachbars Schwarz abgebrannt war, gefiel es selbstverständlich seinem Sohne nicht mehr beim gänzlich verarmten Vater. Er zog nach Amerika. Beim Abschiede vom Vater sagte dieser zu seinem Sohne: „O mein Lieber! wenn Du in Amerika bist und verdienst etwas, so denke doch auch an mich, und schicke mir hie und da einige Kreuzer Geld!“ Der Sohn versprach dieses unter Thränen. Er kam glücklich über den Ozean, bekam drüben Arbeit in einem Bergwerk, verdiente Geld; schien aber den armen Vater vergessen zu haben. Wo anders suchte dieser Rat, als beim Nachbar Pfarrer? Mit rotgeweinten Augen kam er eines Tages zu mir und klagte: „Kinder habe ich großgezogen; aber ich bin nun gänzlich verlassen. Meine Tochter todt, mein Sohn in Amerika, undankbar gegen mich.“ – Ich suchte ihn zu trösten und sagte: „Euer Sohn war ja immer brav; er kann darum nicht undankbar sein. Habt Ihr ihm denn nie nach Amerika geschrieben, und Eure Not geklagt?“ Er sagte: „Ja freilich; aber er gibt mir nie eine Antwort.“ Hierauf entgegente ich ihm aus vielfacher Erfahrung ähnlicher Art: „Lieber Nachbar! es kommt häufig vor, dass von Amerika heraus oder hinein Englisch zu schreibende Adressen deutsch geschrieben werden, und zwar so, wie man sie liest, statt wie man sie schreibt und druckt. So wird z.B. das Wort ‚Iowa‘ oft auf Adressen ‚Eiauä‘ geschrieben... Postbeamten nun, denen die Adresse unverständlich ist, werfen solche Briefe kurzweg auf die Seite. Wenn Ihr, lieber Freund! dann wieder einen Brief nach Amerika schreibt, so bringt mir die Adresse eures Sohnes, welche Ihr vielleicht bei Verwandten in Nachbarorten auftreibt! Ich will Euch dann immer die Adresse in richtiger Weise englisch schreiben.“
Nachbar Schwarz dankte mir gerührt, folgte meinem Rate, machte die Adresse seines Sohnes ausfindig, und brachte sie mir. Ich fand sie wirklich nach englisch-amerikanischer Schreibung greulich entstellt und deutsch geschrieben, wie man sie las, nicht aber, wie man sie schrieb oder druckte. (NB. Jedem, der nach Amerika zieht, soll man streng anempfehlen, seine neue Adresse zu schreiben, wie man sie druckt, nicht, wie man sie liest!) Ich rekonstruierte die verpfuschte Adresse nach bestem Ermessen in englischer Weise, und riet dem Nachbar Schwarz, sofort seinem Sohne nach Amerika zu schreiben. Er tat es; die Adresse schrieb ich richtig; der Brief kam im fernen Westen an, und bald darauf antwortete der wirklich nicht undankbare Sohn seinem Vater mit Brief – und Geld. Fortan musste ich infolge dessen alle Briefe nach Amerika dem Nachbar Schwarz und anderen Krumbachern, sowie noch manch Anderen der ganzen Umgebung selber adressiren.
Da kam mir der Gedanke, wie mit Blitzgewalt: „O wie schön wäre es doch, wenn alle Erdbewohner, statt der heillos verzwickten, unlogischen und unpraktischen Orthografien, wie es ganz besonders die englische, aber auch die russische, polnische, schwedische und deutsche... sind, ein gemeinsames Alfabet, eine gleichmässige Orthografie, ja sogar vielleicht eine einzige allgemeine Korrespondenzsprache besäßen! Wie vieler Ärger, Schmerz, Zeit und Geldverlust... würde da vermieden! denn, nach nur oberflächlicher Berechnung, laufen, infolge der unglückseligen Orthografien der Natursprachen alljährlich beim Oberpostamte zu Washington vier und eine halbe Million unbestellbarer Briefe ein, darunter gegen vierzigtausend Wertstücke, einzig zufolge solch heilloser Adressen, wie sie Vater und Sohn Schwarz einander schrieben, bevor ich hilfreich ins Mittel trat. Welche überreiche Quelle von Verlusten, Ärger und Ungeduld aller Art, wofür der schlichte Bürgersmann nichts kann, dagegen alle jene Gelehrten, die fort und fort am alten Schlendriane hängen bleiben, und nichts von einer Weltorthografie und Weltsprache wissen wollen. Auf diese Weise reifte in mir aus reiner Liebe zu meinen Pfarrkindern sowie zu allen Menschen, welche in die weite Welt hinaus müssen, oder in die weite Welt zu korrespondieren haben, die Idee einer Allsprache, wie sie nun in der achten Auflage meiner Grammatik tatsächlich vorliegt.
Vorbereitet wurde die Ausführung dieser Idee durch ein (mit gutem Gewissen kann ich sagen) dreiundvierzig Jahre langes, fast ununterbrochenes Sprach- und Sprachen-Studium. Denn als ich im Jahre 1879 mit meinem ersten Weltsprachealfabete und bald darauf mit der Weltsprachegrammatik öffentlich auftrat, war ich 48 Jahre alt. Mit meinem 5ten Lebensjahre aber begann ein wackerer Vikar meiner Heimatspfarrei Lauda (denn damals war Oberlauda noch ein Filial von Lauda) mit mir nach dem guten, alten Bröder ‚mensa‘, ,mensae‘... zu deklinieren. So ging es im Lateinischen weiter, bis mein lieber Onkel Franz Martin Schleyer vom 11. Jahre an, in Königheim mich im Lateinischen und Deutschen weiter ausbildete; denn er war, glücklicherweise, ein sehr guter Grammatiker, wie mich manche einen ‚geborenen Grammatiker‘ nennen. Am Gymnasium Tauberbischofsheim lernte ich dann, wie alle Gymnasiasten, französisch, griechisch und hebräisch; dazu noch freiwillig, durch die Güte des damaligen Professors und jetzigen Oberschulrathes und geheimen Rates Blatz in Karlsruhe, der eine der besten ausführlichen deutschen Grammatiken schrieb, noch außerdem die englische und italienische Sprache, letztere, um mich schon recht frühzeitig auf eine italienische Reise bis Rom und Neapel... vorzubereiten. Auf der Universität Freiburg studirte ich dazu noch Arabisch und Syrisch; in meinen Vikars‑ und Pfarrverwesers-Jahren, besonders in Wertheim noch russisch und portugiesisch; alle übrigen europäischen und außereuropäischen Sprachen bis zur Zahl fünf und fünfzig in Neukirch, Krumbach und Litzelstetten. Außerdem betrieb ich besonders in Baden-Baden, Kronau, Wertheim, Messkirch und Litzelstetten noch lebhaft deutsche, lateinische und griechische, auch syrische (Ephräm) Poesie, sowie die Poesieen vieler anderen Völker, die bereits poetische Klassiker in ihren Sprachen besitzen. Alles dies that ich, um zu sehen, wie der Menschengeist sich allenthalben vernünftig, logisch, praktisch und künstlerisch vollendet in den verschiedensten Sprachen ausspricht, und um meiner Weltsprache so viel als nur immer möglich den Stempel der Einfachheit, Leichtigkeit, Logik, Konsequenz, des praktischen Wertes und des Wohllautes aufzuprägen, was mir, nach dem einstimmigen Urteile aller gerechten unparteiischen, religiös und politisch vorurteilslosen Männer aller Völker, die mein Volapük wirklich und gründlich studirten, in der Tat gelungen ist. Meinem allgütigen Schöpfer allein aber habe ich es zu danken, dass ich unstreitig ein angeborenes Sprachtalent besitze, wodurch mein Erlernen der vielen fremden Sprachen von meinem 5ten bis 50sten Lebensjahre, wo mein äußerst überladenes Gedächtnis mit den Millionen von Sprachformen und -wörtern infolge einer schweren Krankheit bedeutend nachließ, ein fast instinktmäßiges, ungemein leichtes, freudiges, und durch keine bittere Enttäuschung auszutilgendes geworden ist. Die also vorbereitete, subjektiv rein originelle Idee der Weltsprache (denn ich wusste von all meinen Vorgängern Leibniz, Wilkins, Bachmeier... nichts, und wollte, um originell zu bleiben, nichts hievon wissen) ist dann wirklich zur theoretischen Ausführung gelangt in einer mir selber rätselhaften, ja geheimnisvollen schlaflosen Nacht im Pfarrhause zu Litzelstätten, Konstanz im Eckzimmer des II. Stockes, das in den Pfarrgarten hinausschaut, Mitte Monats März 1879, in welcher Nacht ich sehr lebhaft über alle Torheiten, Missstände, Gebrechen und Jämmerlichkeiten unserer Zeit nachdachte. Um der Wahrheit Zeugnis zu geben, und offen zu gestehen, wie mir in jener seltsamen Nacht zu Mute war, so kann ich in aller Dankbarkeit und Demut, nur sagen: Mein guter Genius gab mir damals plötzlich das ganze System der Weltsprache Volapük ein. - -
Am 31. März 1879 stellt ich dann erstmals die Hauptgrundzüge meiner Grammatik schriftlich zusammen. Seither habe ich aus reiner Liebe zur vielgeplagten Menschheit zahllos viele Zeit, Mühe, halbe Nächte, Nervenkraft, Gesundheit, Geldmittel (Portoauslagen in Tausenden von Mark...) meine Pfarrpfründe, Aufbesserung, Wohnung, Garten, Avancement für diese meine weltumspannende Idee zum Opfer gebracht, oft nur Spott, Hohn, Sorgen geerntet, und dürfte wohl hoffen, dass die Menschheit sich mir noch bei Lebzeiten dankbar erwiese, etwa durch einen Millionär..., der mir ein sorgenfreies Alter verschaffen möchte, während ich jetzt mühsam von meiner jungen Litteratur leben muss. Mancher verwendet lieber Hunderttausende für Launen, Spleen und Schrullen..., während er sich als Patron und Mäcenas einer segensreichen Idee für immer unsterblich machen könnte. (Sapienti sat!)
Konstanz, 1888